Texte/Reden

Minne Rössler

Und draußen ist die Welt

Und von drinnen durch die Fenster der ehemaligen Lehrerwohnung im Schulhaus von Hillgroven beobachtet sie der Künstler Manfred Schlüter, der bekanntlich einmal im Monat „das letzte Wort“ hat im Magazin für Szene und Kultur in Dithmarschen. In LÜÜD. Inzwischen sind seine Bildcollagen mit diesen „letzten Worten“ auf den Heftrückseiten zu einer stattlichen Sammlung angewachsen. Sie bildet den Schwerpunkt einer Werkausstellung, die ab dem 5. des Monats im Dithmarscher Landesmuseum gezeigt wird. Sie bekam das Motto der Seite als Titel geschenkt: „Und draußen ist die Welt“. Im Untertitel: Bilder, Bücher und Objekte.

Als die Leute von LÜÜD an der Konzeption für das Heft bastelten, tauchte die Idee auf, jedes einzelne mit einem Comic, einer Art Cartoon abzuschließen. Sie fragten Schlüter, ob er die Aufgabe übernehmen wolle.

„Ich bin kein Comic-Zeichner“, wandte er ein und ließ sich dann doch überreden, weil er freie Hand für die Gestaltung bekam. Entstanden ist ein eigenwilliges Genre, für das es noch keinen Schulbegriff gibt. Durch und durch geprägt von einer Künstler-Persönlichkeit, die sich selbst gern jeder Einordnung entzieht. Sich lieber „Heimwerker“ nennen lässt und den Ort kreativer Aktivitäten um Himmelswillen nicht als „Atelier“ bezeichnet wissen will.

Er zieht sich zum Arbeiten in seine „Rumpelkammer“ zurück. Da steht inzwischen auch ein Computer, um den herum er lange einen Bogen machte.

Er entdeckte seine Vorzüge, die ihm als „Friemelpott“, wie er sagt, entgegen kamen. Gedanken lassen sich aufzeichnen, um dann wie Puzzle-Teilchen solange zusammengesetzt zu werden, bis sie passen. Aber nicht das Wort gibt als Erstes den Ton an, wenn er anfängt eine neue Seite zu gestalten. Am Anfang steht ein Bild, das sich beim Durchblättern seiner Kunstbücher auf geheimnisvolle Weise durch irgendein Motiv irgendwie bemerkbar macht. Das können Figurengruppen sein, ein Portrait oder auch ein Tier, eine Blume. Der Fundus ist unerschöpflich, umfasst er doch die Kunstgeschichte querbeet durch alle Epochen. Das Bild wird kopiert, bearbeitet und schließlich im Postkartenformat ausgedruckt. Erst danach versetzt er es mit Kreiden und Stiften in die heimische Umgebung. Wer Dithmarschen kennt, findet sich in Schlüters Bildwelt oberflächlich schnell zurecht. Aha, das ist die Silhouette von Wesselburen, die von Büsum und so fort. Aber bei so einfachen Ortsbestimmungen belässt es der Künstler nicht. Er hat uns etwas zu sagen.

Poetisch verdichtet und verrätselt und dennoch hart am Wind der politisch gesellschaftlichen Wirklichkeit erzählt er Geschichten, die uns verstören, erstaunen, uns zum Lachen bringen, aber auf keinen Fall kalt lassen. Nicht absichtslos und als reines Dekor machen sich in seinen Bildern Windmühlen breit. Kein Wunder. Zuhauf umstellen sie das kleine hübsche Dorf, in dem er lebt. Zerrupfen optisch die klare Horizontlinie und stehen, was ihn verärgert, viel zu oft still. Weil – und das sagt er am besten in eigenen Worten:

„Natürlich schätze und achte er / die landesplanerischen Ziele und Grundsätze, / so sprach Hermann A. aus K. bei W. / und schaute beinah staatsmännisch. / Allerdings müsse man auch mal ein Auge zudrücken. / Aus eben diesem Grund schätze er nicht minder / das wohlklingende Instrument der Zielabweichungsplanung …“ (Heft 10, Okt. 2010)

Allein in der Wortschöpfung „Zielabweichungsplanung“ drückt sich unnachahmlich der Unmut aus über die Kopflosigkeit, mit der ein so epochales Ereignis wie die Energiewende angepackt wurde. Wertvoller sauberer Strom kann nicht genutzt werden, weil die Transportleitungen fehlen. Vergleichsweise harmlos nimmt sich dagegen sein Beitrag zum Rauchverbot aus. Da liegt eine dralle Schöne hingegossen auf die Luftmatratze, pafft Rauchzeichen in den Himmel. Aber:

„Erst wenn ihr liebstes Herbstgedicht / als Rauch überm platten schwebe / in schöner Schrift und ohne jeden Fehler, / erst dann werde sie sich erheben, / mit einer zarten Verbeugung / endgültig den Sommer verabschieden / und die letzte Zigarette in den Priel werfen …“ (Heft 11, Nov. 2010)

Ob Veronika B. aus K. ihrer Sucht schließlich Herr wird, diese Frage bleibt im Raum ebenso schweben wie der Rauch. In schöner Schrift und dazu noch ohne Fehler ein Gedicht in die Luft zu schreiben, eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit.

Unüberhörbar nicht nur in diesem sondern allen seinen Texten ist das Gespür des Autors für den Rhythmus und die Melodie der Sprache. Sie sind eigentlich Geschichten-Gedichte, die sich in ihrer Schönheit, Schlichtheit, ihrer Zartheit aber auch Wucht erst richtig entfalten, liest man sie sich selbst oder anderen laut vor. Das mag ein Grund sein, dass manch einer die Hefte von der Rückseite zu lesen beginnt, bevor er sich anderen Themen zuwendet. Auch die Spannung, die sich von Heft zu Heft hält, welche Themen er sich wohl diesmal vorknöpft, mag dazu beitragen. Denn das Repertoire ist mindestens so unerschöpflich wie das Bilderreservoir, auf das er zurückgreift. Es reicht von der Bankenkrise über den Klimawandel bis zur Kunst selbst. Mit einem eleganten Schachzug bittet er die Muse des niederländischen Malers Jan Vermeer van Delft „Das Mädchen mit dem Perlenohrgehänge“ (Het meisje met den parel), sich zu äußern über das Spektakel, „KUNSTGRIFF“ genannt, das alljährlich im August/September Dithmarschen überzieht. Und nochmals sei der Künstler selbst zitiert:

“Kunst, gurrten einige, Kunst komme natürlich von Können. / Wenn man’s könne, gnarrten andere, dann sei’s ja keine Kunst. / Und wenn man’s nicht könne? / fragte ich. / Dann sei’s erst recht keine Kunst, flüsterte die Muse. / Aber was denn dann? / Da schwieg die Muse und entfernte sich grußlos. / Mist!“ (Heft 5, Aug.2008)

Schlüter hat die gesammelten 60 Arbeiten in zwei Lesebändchen zusammengefasst. Das erste kann während der Ausstellung zum Subskriptionspreis von 15,00 Euro erworben werden. Im Handel wird es 19,90 Euro kosten.

Ein Raum der Ausstellung ist Schlüters Materialbildern und Objekten vorbehalten. Sie erreichen den Betrachter handfest aber mit ähnlicher Wirkung wie seine Blicke in die Welt. Fordern ihn heraus, sie bei aller Verspieltheit als Gegenüber wahr- und ernst zu nehmen. Sie können beglücken aber auch erschrecken und abstoßen. Jedenfalls lassen sie den Betrachter nicht kalt. Weil es sich um eine Werkausstellung handelt, dürfen auch die Bücher nicht fehlen. Die Kinder- und Jugendbücher, die er selbst verfasst und illustriert hat. Die Bände kleiner Geschichten und Gedichte für Erwachsene. Nicht zu vergessen das Bilderbuch „Der Lindwurm und der Schmetterling“, das er zum gleichnamigen Text von Michael Ende gestaltet hat.


veröffentlicht in
LÜÜD - Das Magazin für Szene und Kultur in Dithmarschen
September 2013