Texte/Reden
Kirsten Hansen
Die Bilderwelten des Manfred Schlüter Ein Reisender in Sachen Phantasie
Ein Paar verschlissene Arbeitshandschuhe. Ein ausgemusterter Wecker. Ein oller Tampen, ein ausgefranster Pinsel, die rissigen Schieferplatten vom Dach. Müll. Müll?
Für Manfred Schlüter sind es Dinge mit Geschichte. Mit einer ganz eigenen Geschichte, die es zu erspüren und zu achten gilt. Und die weiter erzählt werden muss. Da ist die Türschwelle, die einstmals in der alten Dorfschule den vorderen vom hinteren Flur trennte und so oft respektlos niedergetrampelt wurde. Bei Manfred Schlüter darf sie ein Streifen Himmel sein und auch Erde.
Er löst die Dinge aus ihrer Vergangenheit und gibt ihnen eine neue Gegenwart. Spielerisch, verschmitzt, hintergründig. „Es geht um den neuen Blick auf die Dinge - im Unterschied zur Malerei, wo ich immer schon ein Bild im Kopf habe“, sagt er. „Das ist für mich der große Reiz bei dieser freien Arbeit. Ich will das rausholen, was ich in den Gegenständen sehe.“
Er sieht es nicht immer auf Anhieb. Zehn - oder waren es zwanzig Jahre? - verwahrte Manfred Schlüter das handwerkliche Erbe von Opa Scharp. Der war Anstreicher und Ende der siebziger Jahre Vermieter der Schlüters am Brunsbütteler Markt. Er hinterließ einen zweigeschossigen Stall mit Malerutensilien. Eine Schatzkiste für einen Sachen-Sinn-Sucher. „Lange Zeit hatte ich zu große Ehrfurcht, damit zu arbeiten“, erzählt Manfred Schlüter. Dann traute er sich, handgreiflich zu werden mit Säge und Feile. Wer genau hinguckt, findet einen von Opa Scharps Pinseln in der Arbeit „Mit roter Nase“. Oder eine Metallrolle zum Prägen von Farbe in „Bloot Foot“.
„Das muss zunächst mal nur mir gefallen“, betont Manfred Schlüter. Die Inspiration, ein grobes Stück Schiefer und ein filigran-faseriges Holzfurnier zu vermählen zu einer neuen, schlüssigen Verbindung. „Bunter Blitz“ heißt sie und hängt ihm Wohnzimmer überm Sofa. Im Treppenhaus steht „Komm in meine Arme“, eine lange Zeit geschlechtlose, menschhohe hölzerne Skulptur. Als die Elektriker bei Renovierungsarbeiten auf dem Dachboden eine Kabelrolle aus der Wand zerrten, entdeckte Manfred Schlüter in ihr genau das passende Utensil, um dem Objekt ein männliches Geschlecht zu geben. Das verlieh ihr höhere Weihen: Bei einer Ausstellung in der Neuenkirchener St. Jacobi-Kirche 2004 durfte die hölzerne Figur mit den kreuzartig ausgebreiteten Armen vor der Orgel schweben, erzählt der Künstler und lächelt dabei sein feines Lächeln.
Die freien Objekte tragen Namen, die so kreativ sind wie ihr Entstehungsprozess. Sie heißen „Stillschweig“, „Kleiner Stummelfresser“, „Mona Luna“ und „Flunkerflügler“ und verraten Einiges über Schlüters Lust an Sprache. Sie leben mit ihm und seiner Frau Karin in ihrem Haus, der schönen alten Dorfschule in Hillgroven, werden ab und zu mal ausgestellt (so zum Beispiel 2005 in der Heider „Galerie Art und Weise“), scheinen aber vor allem sinnlich gewordenes Produkt eines künstlerischen Freiheitsdranges zu sein.
„Das alles kostet Zeit und damit verdient man auch nix“, sagt Schlüter. Kreativer Luxus also, das Wort „Hobby“ mag er nicht. Er definiert es in entwaffnender Tiefstapelei als „Resteverwertung“, nennt sich selbst „mehr Heimwerker“ und den Ort, wo das alles umgesetzt wird, „um Gottes willen nicht Atelier“: „Das ist meine Rumpelkammer.“ Und dennoch, hebt er hervor, sei es für ihn „unglaublich wichtig, aus dem Bilderbereich mal raus zu treten.“
Der „Bilderbereich“, das ist seit rund dreißig Jahren für Manfred Schlüter das, was man in anderen Zünften den Brotberuf nennt. Und lange Zeit, sagt der 57jährige, habe er sich immer nur als „Bildermensch“ gesehen. Da war er in der Schule in Kellinghusen ein Spätleser mit Vorliebe für Comics, auf die handwerkliche Ausbildung zum Tiefdruckretuscheur folgte ein Grafik-Design-Studium. Am Ende des Wehrdienstes, der ihn noch nachträglich zum
Kriegsdienstverweigerer machte, entstanden erste, surreal und düster-visionär anmutende Bilder voll tiefer Gesellschaftskritik. Im wirklichen Leben zehrte der frustrierende Versuch, als Werbegrafiker auf dem platten Land eine vierköpfige Familie zu ernähren. Und dann 1978 in Brunsbüttel eine Begegnung, die seiner Arbeit eine neue Richtung geben sollte.
„Du hast mir die - bis dahin verschlossene - Tür zur Bücherwelt aufgestoßen. Dass ich Illustrator bin, habe ich dir zu verdanken“, schrieb Manfred Schlüter in einer Erinnerung an den 1995 verstorbenen Schriftsteller Boy Lornsen, der ihm Freund und Vorbild wurde. Für ihn, den Schöpfer von Kinderbuchklassikern wie „Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt“, illustrierte Schlüter zum Beispiel die Nis Puk-Geschichten.
Lornsen weckte in dem Bildermenschen Schlüter auch die Lust, sich Sprachbildern zuzuwenden, mit Lauten, Klang und Rhythmus zu experimentieren. Insbesondere Lornsens Plattdeutsch hat es ihm angetan, das Melodiöse dieser Mundart, die einfach danach verlangt, laut gesprochen zu werden. (Und die übrigens gar nicht mehr verstaubt klingt, wenn Manfred Schlüter sie spricht).
Ein Lieblingsbuch Schlüters ist Boy Lornsens plattdeutsche Schöpfungsgeschichte („Sien Schöpfung – un wat achterno keem“, erschienen im Quickborn-Verlag). Seine Lieblingsstelle reklamiert er aus dem Kopf: „Denn mookt he Paus för`n Ogenblick,/ bekeek sein Wark un dach bi sik:/ Mi dücht, ik harr wull noch mehr Freid,/ wenn de ganze Kroom sik dreiht./ Sacht stött he sien Lüchten an,/ un denn füng dat Dreihn je an:/ De Eer brummküselt üm sik rüm./De Moon flutscht üm de Eer,/ un beid tohoop suus rund de Sünn./ So geiht`in`n Heven her…..“
„Ich habe gelernt, dass man auch einer einfachen Sprache eine Melodie einhauchen kann“, schreibt Schlüter in seiner Laudatio über Lornsen. Diese Lektion sollte für ihn lebenswichtig werden. Denn so rasant und durchaus auch „ein bisschen märchenhaft“ die Laufbahn als Kinderbuch-Illustrator mit Arbeiten für Boy Lornsen und Michael Ende begonnen und ihm schnell eine Auszeichnung wie den Friedrich-Hebbel-Preis beschert hatte, so plötzlich versiegten die Aufträge Ende der 80er Jahre. „Bis dahin hatte sich alles wie von selbst entwickelt. Und dann kamen einfach keine Texte mehr“, erinnert sich Manfred Schlüter.
Es kam auch kein Geld mehr. Die Mitarbeit seiner Frau Karin, der gelernten Arzthelferin, wurde noch wichtiger. Um die Haushaltskasse aufzubessern, jobbte sie nebenbei in der Sauerkrautfabrik in Wesselburen. Damals, als die Not zu greifen und der Druck am größten waren, begann Manfred Schlüter das Reimen. „Ich kann ganz gut die Augen zumachen, wenn`s drauf ankommt“, “sagt er. „Und ich bin ja Steinbock, wie viele aus meiner Zunft. Das steht für Begeisterung, Hartnäckigkeit und Ausdauer. Es ist einfacher, wenn man ein bisschen bockig ist.“
So wurde aus dem Maler auch ein Autor, aus dem Bildermenschen ein Sprachbildner. Es entstanden Bilderbücher mit eigenen Texten. Und es entstanden Gedichte, Reime und Miniaturen, über die der Kinderbuchautor Paul Maar („Das Sams“) später in einem Vorwort sagen würde, „die meisten davon …. (können) es durchaus mit Ringelnatzschen Gedichten aufnehmen“. Da wird in der Tat nach Herzenslust gereimt, Sprache lustvoll ausprobiert, da werden Wörter auseinander genommen und mit neuer Deutung wieder zusammengesetzt - ganz so, wie Manfred Schlüter es macht, wenn er gebrauchtes Holz in die Finger bekommt.
Auch Wörter, Silben scheinen für ihn ein Rohstoff zu sein, der sich durch behutsames Feilen zu hintersinnigen, augenzwinkernden Sprach-Objekten verarbeiten lässt. Und dies nie ohne eine gehörige Portion Selbstironie.
„Es wächst in mir ein Zwang/ ein ungeheurer Drang/ der mir sagt, ich solle schreiben,/ und zwar nicht zum Zeitvertreiben,/ sondern um der Menschheit willen/ solle ich die Blätter füllen/mit großen Worten, doch verständlich,/ auf das, was scheinbar unabwendlich,/ den Poetenfinger richten,/ um das Böse zu vernichten…/Derart sprach in mir der Drang,/ und es dauert nicht lang,/ da war mir überdeutlich klar,/ dass ich der Menschheit Retter war-/ „Jawohl! Ich schreibe ein Gedicht!“/ (Doch nicht jetzt - jetzt passt es nicht)“, spöttelt Manfred Schlüter über des Dichters „Drang“. Um den Poeten dann respektlos im „Reime-Eimer“, wie seine 2006 erschienene Gedicht-Sammlung heißt, zu versenken.
Schlüters Verse sind ausdrücklich auch für Kinder gemacht. Bei ihnen findet der Autor den „fruchtbaren Boden“, den er sich für seine Bilder-Welten wünscht. Er empfindet es als eine “sehr verantwortungsvolle Aufgabe“, für sie zu schreiben und zu malen. „Denn ich weiß: Ich kann etwas anrichten …“, sagt Schlüter. Deshalb ist er unterwegs zu ihnen, geht in die Kindergärten, Schulen, Bibliotheken, um vom Entstehen seiner Bilder-Bücher zu erzählen. Ein Reisender in Sachen Phantasie. Ein Skeptiker mit Hoffnung. „Ich streue Samenkörner aus. Ich möchte ihnen Phantasie schenken, die Welt zu verändern.“
Die Kinder nehmen ihn ernst - und er hat gelernt, sie ernst zu nehmen. Nicht immer ganz freiwillig. Da war zum Beispiel der Junge im Kindergarten, der Stirn runzelnd Schlüters Zeichnung von einem Drachen betrachtete, der sich genüsslich rückwärts im Gras räkelte. „Wo lässt er denn jetzt seine Zacken?“, wollte er wissen. Manfred Schlüter musste eine schlüssige Antwort schuldig bleiben. „Seitdem lege ich noch viel größeren Wert darauf, dass sich Bild und Text entsprechen“, sagt er.
Er kann sich auf die Kinder verlassen, er kann ihnen auch etwas zutrauen. Die philosophisch anmutende Geschichte von „Herr Schwarz und Frau Weiss“, die ohne einander nicht sein können, trägt er wortwörtlich in den Kindergärten vor. „Es funktioniert, das hätte ich anfangs nie gedacht“, sagt er. Auch dass dieses Bilderbüchlein mal so ganz ohne (bunte) Farbe auskommt, scheint kein Kind zu irritieren. „Das haben immer nur Erwachsene als Mangel betrachtet.“
Vielleicht ist es sein Blick auf die Welt, der ihn mit den Kindern verbindet. Manfred Schlüter ist einer, der nur seinen eigenen Augen traut. Dem wortreiches Geplapper ein Gräuel ist und der Sprache als Instrument betrachtet, um eine Melodie hineinzuweben. Die darf einfach sein, knapp und einprägsam. Dann kann es passieren, dass er sie aufbewahrt wie Opa Scharps Schätze.
So erging es dem Satz, den Martha Hinz mal vor vielen Jahren aussprach: „Und draußen ist die Welt“. Martha Hinz ist die Tochter des Hillgrovener Schäfers. Sie war damals sieben Jahre alt und saß in der Sandkiste. Manfred Schlüter hat diese Worte verwahrt wie ein Kleinod. Bis er für sie eine neue Aufgabe fand: als Motto für seine Collagen im Lüüd. Dort hat er bekanntlich einmal im Monat das letzte Wort. Als Zwischenrufer, der klassische Werke der Malerei wiederbelebt durch seinen ganz speziellen Blick auf die Dinge. Und wie findet Manfred S. aus H. das? „Ich mag es nicht mehr missen!“
veröffentlicht in
LÜÜD - Das Magazin für Szene und Kultur in Dithmarschen
Dezember 2010