Texte/Reden

Frank Trende

„Der Schreiber und sein Zeichner“ Boy Lornsen und Manfred Schlüter Aufsatz anlässlich einer Ausstellung zum 85. Geburtstag von Boy Lornsen im Sylter Heimatmuseum Keitum und im Heimatmuseum Brunsbüttel 2007/2008

Generationen von Kindern in Deutschland sind mit Kinder- und Jugendbüchern des schleswig-holsteinischen Erzählers Boy Lornsen groß geworden. Mit seinen Büchern hat Lornsen auch internationale Anerkennung gefunden. Er gehört zu den großen Autoren, die Schleswig-Holstein hervorgebracht hat. 1967 veröffentlichte er mit „Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt“ sein erstes Kinderbuch: Die Geschichte des erfinderischen Jungen wurde als Buch und als aufwändige ARD-Verfilmung ein großer Erfolg.

Die Begegnung des Autors mit dem Künstler Manfred Schlüter war der Beginn eines Jahrzehnts intensiver Zusammenarbeit. Schlüter schuf etwa die Illustrationen für die Störtebeker-Erzählung „Gottes Freund und aller Welt Feind“, für drei „Williwitt“-Erstlesebücher und drei „Nis Puk“-Bände, mit denen Lornsen der friesischen Sagenfigur neues Leben einhauchte. In diesen Büchern verbinden sich Text und Bild zu einer künstlerischen Einheit, die das Buch zum Kunstwerk macht. Dabei waren sich beide Künstler auch in ihrer Weltsicht nahe. Beide maßen ihre Arbeit an hohen moralischen Maßstäben, beide hatten sich aus einer friedfertigen Grundhaltung heraus eine fast erzieherische Aufgabe gestellt: Sie wollten Kinder ermutigen, selbstbewusst und selbstbestimmt ins Leben zu gehen. Sie nahmen Kinder ernst, ohne auf Spaß zu verzichten.

Die Zusammenarbeit mit Boy Lornsen machte weitere Autoren auf Manfred Schlüter aufmerksam. So fand der Künstler zu phantasievollenTexten von Michael Ende kongeniale Bilder feinster Poesie. Die ersten, manchmal miniaturhaften Illustrationen aus Schlüters Werkstatt markieren den Anfang einer Entwicklung zu einer wachsenden Zahl von Bilderbüchern - schließlich auch Bilderbüchern mit eigenen Texten. In Schlüters Bildgeschichten weiten die Protagonisten mit Mitteln der Phantasie die Grenzen von Raum und Zeit. Er erzählt von Freundschaft und Solidarität und gegenseitigem Respekt. Einen besonderen Höhepunkt erreichte die Kunst Schlüters mit dem Bilderbuch „Es war einmal ein kleiner Baum“: Der Baum ist ihm Brücke in die Vergangenheit. In großzügigen, malerischen Bildern, die Raum für eigene Vorstellungen und Entdeckungen lassen, entwickelt sich ein Zeitpanorama von der Naturlandschaft über einzelne Zivilisationsschritte hin zu einer vom Menschen geprägten und geformten und genormten Kulturlandschaft. Kinder, die erst wenige Jahre auf der Welt sind, aber auch Erwachsene können in dem Baum ein Wesen mit besonderer Würde erkennen, dessen Leben mit anderen zeitlichen Maßstäben zu messen ist - ein Gedanke, der auch Boy Lornsen bewegt hat: Schon 1968 hatte er seinem Buch „Jakobus Nimmersatt“ die Ausbeutung der Natur durch den Menschen um des Profits willen thematisiert.

Seit dieser Zeit schuf Manfred Schlüter eine ganze Reihe von Bildern, die von einer düsteren Aura umflort waren. Wie die Surrealisten stellt der Künstler hier ungewohnte Kombinationen gegensätzlicher Motive zusammen, die, realistisch dargestellt, in ihrer Kombination eine neue „Überwirklichkeit“ schaffen. Auf diese Weise soll mit dem Mittel der Verfremdung Erkenntnis befördert werden. Zwischen den freien Arbeiten auf der einen und den Bildern für Bücher auf der anderen Seite bestehen Wechselwirkungen. In seinen Bilderbüchern geht es Schlüter - wie zuvor in seinen freien Arbeiten - um den Zustand unserer Welt, um Ehrfurcht vor der Natur und um Freundschaft zwischen den Menschen. Und in die freien Arbeiten sickerte aus der Bilderbucharbeit ein augenzwinkernder Witz, ein Quäntchen Ironie und behutsame Leichtfüßigkeit.

Am deutlichsten wird diese gegenseitige Bereicherung des Gestaltens in den Objekten Schlüters: Aus Fundstücken und Abfallprodukten unserer Wegwerfgesellschaft montiert und gestaltet er Figuren, manchmal sparsam malerisch akzentuiert, etwa den „Flunkerflügler“ oder den „Kleinen Stummelfresser“: Objekte mit wesenhaften Zügen, die wie kultische Figuren wirken. Unter der Hand des Künstlers verwandelt sich Wertloses in Bestaunenswertes.

Manfred Schlüter, der Zeichner, ist fest davon überzeugt, dass der ernste Blick auf die Welt den Menschen erkennen lässt, wie es um ihn steht, und dass Spaß und Phantasie die Kräfte mobilisieren können, um die Welt in eine bessere zu verwandeln. Sein Schreiber hat es ganz genauso gesehen.