Texte/Reden

Kirsten Hansen

Das Perpezudum oder Wie der alte Morawitz das Perpetuum mobile erfand Erzählung von Manfred Schlüter

Sie heißen Eiermeier, Krabbenkrischan und Hermann Paster. Sie leben hinterm Deich und trinken Eiergrog bis zum Abwinken - ihr Trinkspruch lautet: „Nich lang schnacken, Kopp in`n Nacken“. Das klingt gemütlich, vielleicht ein bisschen derb, ein Volksstück wie aus dem platten (Marschen-)Leben gegriffen. Auf den ersten Blick.

Doch der Autor heißt Manfred Schlüter, den Lüüd-Lesern und nicht nur ihnen vertraut als der Zwischenrufer von der letzten Heftseite. Dort hat er allmonatlich das letzte Wort („Und draußen ist die Welt“). Und dort haben wir längst gelernt, dass man sich einen Schlüter auf der Zunge zergehen lassen darf. Er ist ein Könner der verdichteten Sprach-Komposition, jedes Wort ist behutsam und bewusst gewählt, jeder Satz langsam gewachsen. Dafür braucht es einen zweiten Blick, und vielleicht auch einen dritten.

Das gilt auch für Manfred Schlüters neues Buch, das in diesem Frühjahr erschienen ist: „Das Perpezudum oder Wie der alte Morawitz das Perpetuum mobile erfand“ (Edition Gegenwind). Es ist sein erstes Buch für Erwachsene. Und es beschränkt sich auf eine einzige Abbildung. Bemerkenswert für den Bildermenschen Schlüter, der als Illustrator, Kinderbuch-Autor oder Poet die Kraft von Worten gern im Zusammenspiel mit Bildern auslotet. Im neuen Buch gibt es nur eines, das Titelbild. Die zeigt einen Ausschnitt aus Schlüters Collage „Mit kleinem Fingerzeig“, eine versinkende Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger. Ein Hilferuf, eine letzte Warnung vor dem Untergang?

Tatsächlich nimmt sich das schmale Bändchen gewichtiger Themen an, auf den zweiten Blick. Es erzählt von dem Menschheitstraum, ein Perpetuum mobile zu erfinden, „jene Maschine, die Energie erzeugt, ohne Energie zu verbrauchen, die niemandem nimmt und allen gibt, eine Maschine, die der Menschheit Kraft schenkt und Raum und Zeit und die Fähigkeit, auf Kriege zu verzichten.“ Als junger Kriegsheimkehrer spricht Titelheld Morawitz am Tag der deutschen Kapitulation für sich den Schwur: „Jawohl, er werde bauen, was noch kein Mensch gebaut hat.“

Das treibt ihn an, ein langes Leben lang. Tag für Tag spürt er „höchste Zeit!“, Tag für Tag geht er auf Schatzsuche für seine Wundermaschine. Sieht sich in einer Reihe mit Einstein und da Vinci, erwartet schon das Nobelpreiskomitee. Doch allmählich kommt dem Alten die Erinnerung daran abhanden, wie er eigentlich auf die Idee gekommen war.

Morawitz habe er geschaffen in Erinnerung an seinen Großvater Adolf, sagt Manfred Schlüter, die Figur aber frei erfunden. Er zeichnet einen Menschen, der die Welt mit „offenem Blick“ betrachtet, der auch hinter die Dinge guckt, der in seinen Augen stets ein Leuchten trägt. Der fiktive Finder und Erfinder aus Heringsand könnte das Alter Ego des Objektkünstlers Manfred Schlüter aus Hillgroven sein.

Wären da nicht die Grausamkeiten des Krieges, die der Titelheld Morawitz in seiner Jugend erlebt hat. Sie trieben ihn vor sich her, „hilflos wie ein neugebornes Kind in einem Boot aus Schilf“. Wie das Kind aus dem Alten Testament will Adolf nach Kriegsende nur noch Moses heißen. Und wie der biblische Moses so will auch Moses Morawitz der Menschheit einen Dienst erweisen. Doch die benachbarte Menschheit hinterm Deich sucht ihr Heil zu gern im Eiergrog. Sie verhöhnt Moses. Und am Ende zweifelt auch er am Sinn seiner Erfindung…

Manfred Schlüter belässt es nicht bei diesem Erzählstrang, er bettet ihn ein in eine Rahmenhandlung. Dafür hebt er seine Geschichte wie ein Spiel auf die Bühne, schafft Vorhang und eine Art Erzähler, der buchstäblich aus den Wolken steigt. Doch der ist nicht unbeteiligt, es ist irdisches Leid, das ihm noch da oben den Frieden raubt. Um Ruhe zu finden, muss er hingucken. Und sehen, was niemand sehen mag. Manfred Schlüter gibt ihm und uns mit seinem Büchlein dazu einen „kleinen Fingerzeig“.


Veröffentlicht in
LÜÜD - Das Magazin für Szene und Kultur in Dithmarschen
Juni 2013